Unsere Tochter 6, Jahre steht vor dem Kalttauchbecken in der Sauna. „Papa, jetzt traue ich mir was zu!“ sagt sie und steigt dann langsam Stufe für Stufe ins eiskalte Wasser. Sie strahlt mich an und dann taucht sie ganz unter „Sogar mit dem Kopf!“ ruft sie stolz .“Und jetzt in die Sauna!“
Und tatsächlich: Nachdem sie in den letzten beiden Jahren schon an der Saunatür wieder Kehrwende gemacht hat, dreht sie jetzt die Sanduhr um und bleibt 15 Minuten drin. Freiwillig, selbstständig und mit Genuss. Ich bin sprachlos und freue mich. Wieder gewachsen. Sie ist wieder über sich selbst hinausgewachsen.
Diese Freude und den Stolz kennen alle Eltern. Das erste Sitzen, der erste Schritt, das erste Wort, der erste Schultag. Jeden Tag Entdeckungen, jeden Tag eine neue Welt. Was für ein Glück, diese Entwicklung miterleben zu dürfen, um selbst dabei die Welt mit neuen Augen zu sehen.
Alle Eltern wünschen sich für ihre Kinder das Beste. Dass sie gesund sind, wachsen, glücklich sind. Und doch werden manche Kinder trotz aller Liebe der Eltern krank.
Oft suchen die Eltern dann bei sich selbst die Schuld. Sie denken, sie haben etwas falsch gemacht oder verzweifeln, dass es trotz aller Unterstützung die Kinder so schwer haben mit sich und ihren Gefühlen. In der Familie, in der Schule, unter Gleichaltrigen. Oder dass die Kinder sogar chronisch krank werden.
In meiner Praxis kommen Eltern zu mir, deren Bemühungen an eine Grenze stoßen. Trotz aller Fürsorge und Zuwendung haben die Kinder Verhaltensauffälligkeiten, Schulschwierigkeiten, werden schnell aggressiv, verweigern sich, können sich nicht konzentrieren, sind schnell erschöpft oder werden von einer inneren Unruhe bewegt.
Manche Kinder sind krank. Sie nässen ein, klagen über immer wiederkehrende Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen, haben Probleme mit Verstopfung oder chronische Erkrankungen wie Neurodermitis oder Diabetes.
Sehr verschiedene Dynamiken können die Ursache für die Symptome sein, an denen ein Kind leidet. Immer sind die Kinder verbunden mit den Ereignissen unserer Familie. Wenn es schweres Schicksal gab in der Familie wirkt sich das oft noch nach auf die nachfolgenden Generationen aus. Dann sind wir „verstrickt“ in die Erlebnisse unserer Herkunftsfamilie. Besonders frühe Verluste und Traumata wirken lange nach. Das, was unsere Großeltern erlebt haben wirkt sich auf unsere Eltern aus und auf uns selbst. Und oft auch auf unsere Kinder.
Ein Kind braucht stabile Eltern. Es tut unbewusst alles, um die Eltern zu entlasten. Es ist mitfühlend und übernimmt in seiner Seele die Last der Eltern, um sie mit zu tragen. Es macht dies nicht absichtlich. Es ist uns allen vom Wesen her zutiefst eingeerbt.
Eine der Dynamiken ist deshalb, dass unsere Kinder das vertreten, was uns fehlt. Als Beispiel: Das, was mir bei meinen Eltern gefehlt hat, finde ich unbewusst bei meinem Kind. Das Kind wird dann in gewisser Weise Stellvertreter für meine Eltern. Dies macht das Kind von ganz allein, es füllt diese Lücke mit seiner Liebe.
Das kann zu einer Vertauschung der Rollen führen. Dann fühlen sich die Kinder überfordert und können nicht erreichen, was sie sich im tiefsten Inneren wünschen, geschützt und geborgen zu sein. Sie können sich nicht bei den Eltern anlehnen da sie für die Eltern unbewusst deren Vater oder Mutter vertreten, also fürsorglich für die Eltern da sind. Sie erahnen und spüren, was die Eltern brauchen. Doch sie können es letztendlich nicht geben und bleiben enttäuscht und machtlos zurück.
Oder sie fühlen sich groß und Vater oder Mutter haben die Autorität verloren. Sie haben dann das Gefühl, die Kinder tanzen ihnen auf der Nase herum, oder „hören nicht“. Dann fühlen sich die Eltern bzw. ein Elternteil hilflos.
Es ist die große Chance der Aufstellungsarbeit, dass sich vertauschte Rollen zwischen Kindern und Eltern zeigen können. Erst wenn sie sichtbar werden wird es möglich, heilsame Schritte zu gehen und den eigentlichen Platz einzunehmen. Endlich den eigenen wirklichen Platz einzunehmen wird von allen als große Erleichterung empfunden. Denn erst jetzt wird es möglich, dass das Kind den eigenen Weg gehen kann hinaus in die Welt. Und dass es der Liebe zu den Eltern Raum geben kann.
Fehlgeburten und Abtreibungen haben zumeist einen großen Einfluss auf nachfolgend geborene Kinder, und das auch, wenn sie nichts davon wissen. Denn es sind ja verlorene Geschwister. Oft wird darüber nicht gesprochen. Doch durch den Verlust eines Geschwisterkindes kann ein nachfolgend geborenes Kind schwer belastet sein. Vielleicht gäbe es dieses Kind ja gar nicht, wenn das vorherige Kind zur Welt gekommen wäre? Neben den eigenen Gefühlen der Trauer kann das Kind auch die der Eltern und besonders die der Mutter fühlen. Schuldgefühle, Unruhe, Traurigkeit, aber auch Krankheiten können die Folge sein.
Es ist vollkommen natürlich, dass wir Schmerz nicht haben wollen. Das geht uns allen so. Besonders großer Schmerz durch Verluste oder schmerzhafte Erfahrungen der Ohnmacht oder Gewalt werden von unserem Bewusstsein verdrängt, um sie aushalten zu können. Aber sie sind ja nicht einfach weg, sie sind im Familiensystem noch da.
Die Erfahrungen der Aufstellungsarbeit zeigen, dass schwierige Kinder sehr oft mit Ereignissen verbunden sind, die verdrängt oder ausgeschlossen wurden. Mit ausgeschlossenen Gefühlen, mit ausgeschlossenen Ereignissen, mit ausgeschlossenen Personen. Sie machen das in keinem Fall bewusst. Sie versuchen, mit ihren Symptomen unbewusst etwas im Familiensystem zu heilen. Das vielleicht schon lange zurück liegt.
Deshalb ist die Frage: Was haben deine Eltern erlebt, was haben deine Großeltern erlebt und überlebt, und was ist dir selbst geschehen? Mit welchem Ereignis ist dein Kind vielleicht unbewusst verbunden?
Kinder sind oft mit den Schicksalen ihrer Großeltern verbunden. Sie haben manchmal eine so enge Bindung an ihre Großeltern, dass diese sogar die Beziehung zu den eigenen Eltern überdecken kann. „Die Großmutter war meine Bezugsperson.“ Oder: „Der Großvater war sehr wichtig für mich.“ sind Sätze, die ich immer wieder höre. Und wenn wir in der Aufstellung schauen, dann geschieht es oft, dass die eigentliche Beziehung die zu einem Großelternteil ist.
Oft höre ich auch den Satz: „Das war schon bei meinen Eltern so und ich möchte nicht, dass das bei unseren Kindern weitergeht.“ Das Problem zieht sich durch mehrere Generationen. Dabei sind nicht wir als Eltern schuld. Ganz im Gegenteil. Wir sind ja selbst Kinder unserer Eltern, bei denen etwas offen geblieben ist.
Die Seele des Kindes sehnt sich nach angenommen sein, nach Schutz und Geborgenheit. Traumata in der Schwangerschaft, während der Geburt oder in der Kindheit können dieses Ankommen bei der Mutter verhindern. Die Kinderliebe kann nicht zur Mutter/ zum Vater. Sie zieht sich zurück. Und alle weiteren Bemühungen zu überleben führen zu Ersatzhandlungen für diese eigentliche Liebe.
Die Liebe der Kinder zu ihren Eltern ist unausweichlich. Sie ist von Geburt an da. Kinder setzen sich aus Liebe für ihre Eltern ein und opfern sich für sie. Und Eltern übersehen ihre Kinder aus Liebe zu ihren Eltern. So werden Schicksale von den Eltern an die Kinder weitergegeben. Das ist zutiefst tragisch.
Kinder sind immer gut. Kinder sind immer unschuldig. Egal wie störend oder befremdlich ein Verhalten ist: Die Symptome der Kinder möchten etwas zeigen. Und sie möchten etwas heilen. Sie sind Anzeiger für ein Thema in dir oder bei deinem Partner und zeigen eine Störung in Deinem Familiensystem. Nimm es ernst, sei dankbar, schau hin. Was für ein Geschenk, das unsere Kinder – natürlich unbewusst – uns mit ihren Symptomen schenken. Sie zeigen auf, was der Heilung bedarf.
Kinder sind den Dynamiken in ihren Herkunftsfamilien erlegen: Weder können sie sie durchschauen noch können sie sie ändern. Sie sind dabei vollständig von uns abhängig.
Du kannst deinem Kind helfen. Mit dem guten fremden Blick von Außen, mit dem Blick aufs Ganze Familiensystem kommt zum Vorschein, was hinter dem Verhalten und den Symptomen deines Kindes wirkt.
Hilf Deinem Kind. Damit es die Last ablegen kann, die es unbewusst aus Liebe für die Eltern und Großeltern trägt. Du kannst in das nächste Seminar kommen, hier findest Du die nächsten TermIne. Oder auch in die Einzelarbeit, hier kannst Du einen Termin vereinbaren. Eine Aufstellung ist vor allem ein Geschenk an dein Kind. Und natürlich auch an dich selbst.
Kinder sind vom Wesen her voller Liebe. Ich wünsche dir heilsame Erfahrungen, die dich und dein Kind entlasten. Damit dein Kind sein ureigenes liebevolles Wesen leben kann. Und es euch miteinander gut gehen kann.
Mit herzlichen Grüßen
Johannes
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